Martin Kesper

Nützliche Ignoranz

Nützliche Ignoranz

Bevor ich in den Urlaub gefahren bin, habe ich mir einige Notizen gemacht. Da steht zum Beispiel: Es gibt Tage, an denen ich glaube, dass die Arschlochdichte in Deutschland gegen unendlich geht. Ganz offensichtlich war ich da urlaubsreif. Aber immerhin noch in der Lage meinen Eindruck auch reflektiert zu betrachten: Da man sich über Arschlöcher aufregt, bleiben sie einem länger im Gedächtnis haften. Womit meine erste Notiz eigentlich schon widerlegt ist. Der Prozentsatz an Arschlöchern steigt nicht, er ist im wesentlichen konstant. Da sie uns aber eher in Erinnerung haften bleiben als Otto Normalmitbürger, haben wir den Eindruck, dass es mehr von ihnen gibt, als tatsächlich da draußen herumlaufen.

Mittlerweile bin ich, was das angeht, ziemlich entspannt, weil ich über diese Notizen im Urlaub ein wenig nachgedacht habe. Ich bin mit dem Auto in den Urlaub gefahren, was mehrere hundert Kilometer Autobahnfahrt mit sich gebracht hat. Und das kennt jeder, der einen Führerschein hat: Auf der Autobahn sind jede Menge Arschlöcher unterwegs. (Die fahren bevorzugt bestimmte Marken, welche ich hier aber nicht nennen werde, weil das womöglich als Schleichwerbung missverstanden werden könnte.) Sie drängeln von hinten mit Lichthupe oder überholen einen rechts, am häufigsten jedoch zwängen sie sich in den Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, gelegentlich sogar ohne zu blinken. Aber, hey! Ich war auf dem Weg in den Urlaub, ich musste zu keiner bestimmten Zeit irgendwo bestimmtes sein. Irgendwann komme ich in meinem Hotel an, setzte mich auf den Balkon und genieße die Aussicht. Womit klar wäre, solange es nicht zu einem Unfall kommt, was man mit defensiver Fahrweise beeinflussen kann, gehören diese Arschlöcher in eine Kategorie, die man getrost ignorieren kann. Ich denke also kurz: Was für ein idiotisches Arschloch!, im Auto manchmal auch laut. Und dann verwehre ich ihnen den Zugang zu meinem Langzeitgedächtnis, indem ich sie mental in den Mülleimer werfe. Und schon ist die gefühlte Arschlochdichte wieder kleiner geworden.

Leider gibt es auch eine Kategorie von Arschlöchern, die man nicht ignorieren kann. Wenn man zum Beispiel mit einem zusammenarbeiten muss, dann klappt das nicht mit der nützlichen Ignoranz. (Dann hilft vielleicht Freundlichkeit und Geduld. Sie wissen schon: Wie man in den Wald hineinruft… Wenn das aber partout nicht hilft, dann beendet man eben die Zusammenarbeit. Anschließend hilft wieder die nützliche Ignoranz.)

Bei all dem müssen wir aber auch aufpassen, dass wir unsere Mitmenschen nicht zu schnell in irgendwelche Schubladen stecken, aus denen wir sie dann nicht mehr herausbekommen. Ich möchte glauben, dass niemand als Arschloch geboren wird und die Menschen auch hin und wieder die Kraft finden, an sich zu arbeiten. Dass wir es schaffen können, die dunklen Phasen in unserem Leben, in denen wir auf andere wie ein Arschloch wirken, zu überwinden. Damit man uns nicht mehr ignorieren muss.

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