Martin Kesper

Blick zurück

Blick zurück

Vor sechzehn Jahren wurde Frau Merkel Kanzlerin und somit Inhaberin der Richtlinienkompetenz deutscher Bundespolitik. Ich war damals First Officer - im Volksmund Co-Pilot - einer deutschen Fluglinie und habe Passagiere durch Europa geflogen. Der Verdienst war gut, selbst wenn ich Teilzeit arbeitete. Ich machte mich auf die Suche nach einer Immobilie, von der aus ich die Welt bereisen wollte. Der Klimawandel rückte in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ich beruhigte mein Gewissen mit dem Gedanken, dass ich nur für den sicheren Transport der Passagiere sorgte, die für ihre Tickets bezahlt hatten und somit die Verantwortung für den Ausstoss von, ich weiß nicht wieviel, Tonnen Kohlendioxid trugen.

Ich hatte den Arbeitsplatz mit der schönsten Aussicht der Welt.

Frau Merkel als ehemalige Umweltministerin, setzte am Anfang deutliche Zeichen, die uns glauben ließen, es wäre ihr Ernst mit der Bekämpfung des Klimawandels. Irritiert hat nur die Rücknahme des durch die rot-grüne Regierung beschlossenen Atomausstieges. Nach dem dritten GAU in der Geschichte der Atomkraft, hat sie ihr Fähnchen in den Wind gehängt und erneut einen Atomausstieg beschlossen. ((Es wäre mal interessant zu recherchieren, welches der beiden Ausstiegsszenarien mehr Kosten für den Steuerzahler verursacht hat bzw. hätte.)

Die Zeit schritt voran, ich wurde Kapitän und Frau Merkel nach und nach in den Sog der lobbygesteuerten Realpolitik gezogen. Ihr Politikstil hatte sich entwickelt: ein visionsloses und opportunistisches Weiter-so. Um den Klimawandel zu stoppen wurde nichts getan. Um die Wähler zu beruhigen, wurden Ziele gesetzlich verankert, die soweit in der Zukunft lagen, dass Frau Merkel da sicher nicht mehr Kanzlerin sein würde.

Gleichzeitig wurden Gesetze beschlossen, welche die Energiewende aktiv behindern.

Ich wurde krank. Vergiftet durch die Luft an meinem Arbeitsplatz. Was natürlich seitens der Berufsgenossenschaft vehement bestritten wird. Mit dem Cockpit war es vorbei. Und die Bundeskanzlerin sorgte auf Druck von Auto-Lobbyisten für die Aufweichung von EU-Vorschriften, so dass deutsche Autobauer weiter Panzerspähwagen bauen durften, die euphemistisch als "Sports Utility Vehicle" verkauft werden. (Übrigens genau die Industrie, die dann ihre Kunden im großen Stil betrogen hat.)

Frau Merkels Opportunismus hat die Union soweit in die politische Mitte geführt, dass der rechte Rand frei wurde für eine Partei, deren Existenz mich, der ich stolz darauf bin, wie in (West-)Deutschland die Erinnerungskultur an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte gepflegt wird, zutiefst beschämt.

Sie machte weiter und weiter und weiter, mit starrem Blick auf ein Wirtschaftswachstum, das, wie sie als Physikerin eigentlich begriffen haben sollte, in eine Katastrophe führen muss. Zum Ende ihrer Amtszeit bekommt sie ihre Klimapolitik vom Bundesverfassungsgericht um die Ohren gehauen. Und erlässt ein Gesetz mit dem alles besser gemacht werden soll - aber erst, wenn sie nicht mehr im Amt ist.

Ich? Ich versuche immer noch in meinem neuen Leben Fuß zu fassen.

Ich bin sicher, sehr geehrte Frau Merkel, Sie sind stolz auf ihre Jahre als Bundeskanzlerin. Ich denke aber, das sollten Sie nicht sein. Aus meiner Sicht waren es politisch sechzehn vergeudete Jahre. Alles Gute für Ihren Ruhestand.